Im Herbst erlebt man auf der Strecke der Centovallibahn eine wahre Farbexplosion, die an die Palette eines Malers erinnert.
Alle Mann an Bord! Es geht los!
Der Schaffner pfeift, die Türen schließen, die Lokomotive fährt an, ich mache es mir bequem und freue mich auf die erlebnisreiche Fahrt. Ich schaue aus dem Fenster und mich erwartet eine, vor allem im Herbst, unbeschreiblich schöne Landschaft. Denn die berühmte „Centovallibahn” fährt hinauf in eines der schönsten Naturgebiete Italiens und verbindet dabei die Region Piemont mit dem Kanton Tessin: 52 Kilometer zwischen Italien und der Schweiz, eine etwa zweistündige Reise bei moderater Geschwindigkeit, um in aller Ruhe die herrliche Aussicht zu genießen.
Die alte Eisenbahn, die im Jahre 1923 eingeweiht wurde, ist ein wahres Meisterwerk des Ingenieurwesens; es handelt sich um eine Schmalspurbahn, die 365 Tage im Jahre aktiv ist und zu jeder Jahreszeit etwas zu bieten hat. Wie in einem Film laufen Szenen der unberührten Natur vor dem Fenster vorbei, charakteristische Dörfer, Schornsteine und Kirchtürme, Wiesen und Flüsse, Wasserfälle und Brücken, die tiefe Täler überschreiten. Aber vor allem die Wälder zeigen im Herbst ihre schönsten Farben und verzaubern uns. Im Oktober kommt es jedes Jahr zu einem kleinen Wunder: Das Laubwerk der Bäume verwandelt sich in ein Kaleidoskop aus warmen Farbtönen, ein Jubel aus goldenen Nuancen, der dieser Gegend auch den Namen „Tal der Maler” („valle dei pittori”) gab.
Hinter dem Bahnhof Domodossola geht es über eine Brücke über den Fluss Toce und dann sonnengeflutete Hügel mit Weinreben entlang. Hier erblickt man den mittelalterlichen Turm von Creggio. Während die Lokomotive durch Kastanien- und Buchenwälder fährt, geht es durch natürliche Tunnel und über steinerne Viadukte. Der Zug hält kurz an den Bahnhöfen Coimo, Druogno und Santa Maria Maggiore und kommt schließlich nach Re mit seiner beeindruckenden Wallfahrtskirche, die der Madonna des Blutes gewidmet ist.
Und dann geht’s runter, Richtung Schweiz, durch den wilden Naturpark des Val Grande und hinter der Grenze bis zum nördlichen Ufer des Lago Maggiore. Endstation ist die elegante Stadt Locarno, touristischer Anziehungspunkt, vor allem bekannt durch das Internationale Filmfestival. Hier hat man die Qual der Wahl, was das Programm angeht: Die wunderschöne Piazza Grande, die Seepromenade, das Schloss Visconteo oder die Pinakothek im schönen Gebäude der Casa Rusca. Sie können aber auch die Seilbahn nehmen und in wenigen Minuten die Wallfahrtskirche Madonna del Sasso erreichen, von der Sie einen herrlichen Ausblick auf die Stadt haben.
Wenn dann die ersten Abendlichter zu sehen sind, erwartet uns schon der berühmte Zug am Bahnhof für den Rückweg nach Domodossola, um erneut, aber diesmal bei Sonnenuntergang die Farben des Herbstes zu erleben.
So sagte auch der Maler Van Gogh:
«Solange es Herbst ist, werde ich nicht genug Hände, Leinwand und Farben haben,
um alles zu malen, was ich an Schönem sehe.»